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Indien zwischen den Mächten: Neu-Delhi trotzt NATO-Sanktionsdrohungen wegen Russland-Handel

Indien zwischen den Mächten

Indiens Außenpolitik steht vor einer ihrer größten Herausforderungen der letzten Jahre. Nach expliziten Drohungen des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und des neuen NATO-Generalsekretärs Mark Rutte, Länder mit fortgesetzten Handelsbeziehungen zu Russland mit Sekundärsanktionen zu belegen, hat die Regierung in Neu-Delhi eine klare und unnachgiebige Haltung eingenommen.

Im Zentrum des Konflikts stehen Indiens massive Importe von verbilligtem russischem Rohöl, die seit Beginn des Ukraine-Krieges stark zugenommen haben. Neu-Delhi verteidigt seine Position vehement und beruft sich auf die nationale Energiesicherheit und seine traditionelle Politik der „strategischen Autonomie“.

Drohungen aus dem Westen

Die jüngste Eskalation begann mit einer Ankündigung von Donald Trump, der mit „100-prozentigen Sekundärsanktionen“ drohte, sollte Moskau nicht innerhalb von 50 Tagen ernsthafte Friedensverhandlungen mit der Ukraine aufnehmen. Diese Rhetorik wurde kurz darauf vom neuen NATO-Generalsekretär Mark Rutte aufgegriffen, der bei einer Pressekonferenz in Washington Indien, China und Brasilien explizit als mögliche Ziele nannte. Rutte forderte diese Länder auf, Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin auszuüben, da die Konsequenzen andernfalls „massiv auf Brasilien, Indien und China zurückschlagen“ würden.  

Diese Drohungen stellen eine erhebliche Verschärfung des Tons gegenüber Indien dar. Bisher hatten die westlichen Partner Indiens fortgesetzten Handel mit Russland stillschweigend akzeptiert, da sie Indien als strategisches Gegengewicht zu China in der indopazifischen Region benötigen. Die explizite Androhung von Sekundärsanktionen, die indische Exporte in die USA mit Strafzöllen belegen könnten, stellt nun die bisher direkteste Herausforderung für die indische Außenpolitik dar.  

Neu-Delhis unmissverständliche Antwort

Die indische Regierung reagierte schnell und selbstbewusst auf die Warnungen. Das Außenministerium in Neu-Delhi wies die Drohungen zurück und warnte vor „Doppelmoral“. Ein Sprecher betonte, dass die Sicherung der Energieversorgung für die 1,4 Milliarden Menschen in Indien eine „übergeordnete Priorität“ habe.

Indiens Ölminister Hardeep Singh Puri erklärte, er sei „überhaupt nicht besorgt“ über mögliche Sanktionen. „Wenn etwas passiert, werden wir damit umgehen“, sagte Puri und verwies darauf, dass Indien seine Ölquellen bereits diversifiziert und die Zahl der Lieferländer von 27 auf rund 40 erhöht habe. Diese Haltung unterstreicht Indiens Festhalten an seiner Doktrin der „strategischen Autonomie“, die es dem Land erlaubt, seine nationalen Interessen unabhängig von den Wünschen der Großmächte zu verfolgen.

Seit 2022 hat Indien die westlichen Sanktionen gegen Russland genutzt, um stark verbilligtes russisches Rohöl zu importieren. Infolgedessen stieg Russland zu Indiens wichtigstem Öllieferanten auf und deckt heute etwa 35-40 % des indischen Bedarfs, was maßgeblich zur Kontrolle der Inflation im Land beigetragen hat.  

Fazit: Ein diplomatischer Drahtseilakt

Die aktuelle Konfrontation ist ein Paradebeispiel für Indiens außenpolitische Strategie des „Multi-Alignments“, einer Weiterentwicklung der Blockfreiheit aus der Zeit des Kalten Krieges. Diese Doktrin erlaubt es Indien, gleichzeitig enge Beziehungen zu westlichen Demokratien im Rahmen des Quad-Bündnisses und zu traditionellen Partnern wie Russland über Foren wie BRICS und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit zu pflegen. Die Sanktionsdrohungen zwingen Indien nun jedoch zu einer potenziell folgenschweren wirtschaftlichen Abwägung: die Vorteile des billigen russischen Öls gegen die katastrophalen Kosten von Strafzöllen auf seine Exporte in den weitaus größeren US-Markt. Während Indien öffentlich auf seiner Autonomie beharrt, zeigen Maßnahmen zur weiteren Diversifizierung der Ölquellen – einschließlich erhöhter Importe aus den USA – dass man sich in Neu-Delhi auf ein Szenario vorbereitet, in dem eine Wahl unausweichlich werden könnte.  

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