Sprachenkrieg in Indien: Regionale Identität wird zum Politikum in Westbengalen und Maharashtra
Die Politik der Identität erlebt in Indien eine neue, intensive Phase. In zwei der bevölkerungsreichsten Bundesstaaten des Landes, Westbengalen und Maharashtra, sind Debatten über Sprache und Herkunft zu zentralen politischen Schlachtfeldern geworden. In Westbengalen mobilisiert die Regierungspartei Trinamool Congress (TMC) unter Chief Minister Mamata Banerjee gegen die angebliche Schikanierung bengalischsprachiger Wanderarbeiter in von der BJP regierten Bundesstaaten. Gleichzeitig hat in Maharashtra eine Kontroverse um die Bildungspolitik und die Rolle der Hindi-Sprache zu Massenprotesten und einer unerwarteten politischen Allianz geführt, die das politische Gefüge des Bundesstaates erschüttert.
„Bengalen zuerst“: Proteste gegen Diskriminierung
In Westbengalen hat die TMC eine massive politische Kampagne gestartet, die am 16. Juli in einer Großdemonstration in Kolkata gipfelte, angeführt von Mamata Banerjee selbst. Im Zentrum der Proteste steht die angebliche „institutionelle und linguistische Profilerstellung“ von bengalischsprachigen Wanderarbeitern in Bundesstaaten wie Odisha, Maharashtra und Delhi. Zahlreiche Arbeiter wurden dort unter dem Verdacht, illegale Einwanderer aus Bangladesch zu sein, festgenommen und schikaniert, obwohl sie indische Ausweisdokumente besaßen.
Die TMC inszeniert diese Vorfälle als gezielten Angriff auf die bengalische Identität. „Ich schäme mich und bin untröstlich über die Haltung des Zentrums und der BJP gegenüber den Bengalen“, erklärte Banerjee auf der Kundgebung und fügte hinzu: „Was ist ihr Fehler? Nur, dass sie Bengalisch sprechen?“ Damit knüpft ihre Partei an die erfolgreiche Wahlkampfstrategie von 2021 an, die unter dem Slogan „Bangla Nijer Meyeke Chaye“ (Bengalen will seine eigene Tochter) regionale Identität über nationale Politik stellte.
Die BJP kontert scharf und wirft der TMC vor, aus wahltaktischen Gründen illegale Einwanderer zu schützen und die nationale Sicherheit zu gefährden. Der bengalische BJP-Präsident Samik Bhattacharya beschuldigte die TMC, ein „anti-bengalisches“ Klima zu schaffen, das den Wanderarbeitern erst schade. Dieser Konflikt wurzelt in der komplexen Geschichte der Migration aus dem heutigen Bangladesch nach Westbengalen, die seit der Teilung Indiens 1947 ein politisch hochsensibles Thema ist.
Sensation in Maharashtra: Die Thackeray-Cousins vereint für Marathi
In Maharashtra entzündete sich eine ähnliche Debatte an der Bildungspolitik. Die Entscheidung der Landesregierung, Hindi als Pflichtfach ab der ersten Klasse einzuführen, wurde von Kritikern als Versuch der „Hindi-Aufzwingung“ und als Angriff auf die regionale Sprache Marathi interpretiert. Dies berührt die landesweit umstrittene „Drei-Sprachen-Formel“, eine Politik, die seit Jahrzehnten für Konflikte sorgt.
Die Kontroverse führte zu einem politischen Paukenschlag: Nach heftigen Protesten nahm die Regierung die umstrittene Anordnung zurück, was die entfremdeten Cousins Uddhav Thackeray (Vorsitzender der Shiv Sena-UBT) und Raj Thackeray (Gründer der MNS) zu einem historischen Schritt veranlasste. Die beiden prominentesten Verfechter der Marathi-Identität traten nach 20 Jahren erstmals wieder gemeinsam bei einer „Siegeskundgebung“ auf.
Raj Thackeray kommentierte spöttisch, Chief Minister Devendra Fadnavis habe „geschafft, was nicht einmal Balasaheb Thackeray konnte“ – nämlich die Cousins zu vereinen. Dieses Ereignis hat intensive Spekulationen über eine mögliche politische Neuausrichtung im Vorfeld der Kommunalwahlen ausgelöst. Die Auseinandersetzung verlagerte sich auch auf die Straße, wo Aktivisten der MNS einen Ladenbesitzer wegen eines als „anti-marathisch“ empfundenen WhatsApp-Status tätlich angriffen.
Fazit: Identität als politisches Schlachtfeld
Die parallelen Konflikte in Westbengalen und Maharashtra sind kein Zufall. Sie zeigen einen breiteren Trend, bei dem regionale Identität strategisch instrumentalisiert wird. Regionalparteien wie die TMC oder die MNS nutzen sie, um ihre Basis gegen das nationale Narrativ der BJP zu konsolidieren. Die BJP wiederum nutzt dieselben Verwerfungslinien, um Wähler zu polarisieren und in Bundesstaaten Fuß zu fassen, in denen sie traditionell schwächer ist. Das Ergebnis ist eine politische Rückkopplungsschleife, in der die Identitätspolitik zu einem zentralen Schlachtfeld in der föderalen Politik Indiens wird, insbesondere im Vorfeld wichtiger Wahlen wie der für 2026 angesetzten in Westbengalen.